20.1.13


Das Innere des Supermarkts empfängt mich kalt und abstoßend. Es ist genauso leer wie auf dem Parkplatz. Bock und Richter sind im Begriff, einen Einkaufswagen in ihren vorläufigen Besitz übergehen zu lassen, während ich mein Erstaunen darüber unterdrücke, dass sich keine Angestellten an den Kassen befinden. Das Unterdrücken scheitert.
Es befinden sich keine Angestellten an den Kassen, stelle ich nüchtern fest.
Bock sieht mich entgeistert an.
Natürlich nicht, sagt er und steuert mit dem Einkaufswagen auf die Alkoholika-Abteilung zu, die Angestellten befinden sich IN den Kassen.
Zur Sicherheit, fügt Richter hinzu. Kennen Sie übrigens das neue Album der neuen Band von dem neuen Label? Es ist ein neuer Sound, der so noch nie dagewesen ist.
Wir müssen damit aufhören, sage ich, alles, was uns halbwegs seltsam erscheint mit bis zur Kritiklosigkeit verzückter Miene abzufeiern.
Ganz recht, ganz recht, stimmt mir Bock zu, Abfeierung tut man nur mit Bedacht und Vorsicht. Man sollte nicht allem Neuen trauen. Oft ist es schon nächste Woche peinlich, das einmal gut gefunden zu haben.
Papperlapp, sagt Richter.
PapperLApapp, sage ich.
Was sagte ich denn!?, fragt R. Er trägt ein hohes Maß Zorn in seiner Stimme und fuchtelt mit den langen, dünnen Armen vor meinem Gesicht herum. Ich möchte feststellen, dass die Erniedrigung einer Musik (und das unbekannterweise) dem Betragen nachkommt, welches auch Politiker an den Tag legen, deren Haltung uns allen Dreien widerspricht.
Welche Art von Politikern?, fragt Bock. Präzisieren sie ihre Wut gegen uns! Untermauern sie Vergleichspersonen mit aussagekräftigen Adjektiven.
Der perfekte Roman, mische ich mich ein, ist der, in welchem jedes Substantiv durch ein davorgestelltes Adjektiv verschärft wird. Die Sprache wird auf diese Art so scharf wie eine frisch geschliffene Messerklinge. Der geneigte Leser sieht jedes beschriebene Bild plastisch und endgültig vor sich. Nicht länger kommt es zu Missverständnissen zwischen Intention und Vorstellung.
Das ist ein anzuzweifelnder Standpunkt, sagt Bock.
Krakeelerisch, sagt Richter. Das Adjektiv, was sie suchen ist krakeelerisch.
Ein krakeelerischer Standpunkt?, frage ich.
Das ist er in der Tat, sagt Bock und nickt Richter zu. Danke für das linguale Auf-die-Beine-helfen.
Sie missverstehen, sagt Richter, das von mir genannte Adjektiv bezog sich auf die Politiker, auf keinen Fall aber auf den Standpunkt, den ich übrigens teile. Ein Roman, angefüllt bis zum Rand mit schmückenden Wie-Wörtern; was wäre das für eine Pracht, zu lesen!
Meinen die Herren denn nicht, sagt Bock, dass sich auf die Dauer eine Art Übersättigung bei den Lesenden einstellen könnte? Und noch frappierender: Sobald der Leser die Technik des Autors durchschaut hat, wird er von seiner Erkenntnis ernüchtert das Buch beiseite legen und womöglich nie wieder aufschlagen.
Dem wirken wir entgegen, indem wir großzügig Kleister auf dem Umschlag verstreichen. Der Leser ist so nicht mehr in der Lage, das Buch beiseite zu legen.
Allerdings, gibt Bock zu Bedenken, wäre er dann auch nicht mehr in der Lage ein weiteres Buch aus ihrer Feder zu kaufen. Ihm sind ja sozusagen die Hände gebunden.
Auch hierfür haben wir eine Lösung parat, sage ich meiner sicher und schmunzelnd, wir bieten das Buch zu einem derartig hohen Preis feil, dass es nicht mehr nötig sein wird ein zweites zu schreiben.
Das ist in der Tat ein guter Plan, sagt Bock. An was für einen Preis haben Sie gedacht?
Ein paar Riesen pro Exemplar müssten es schon sein, sage ich.
Man muss ja auch den Kleister bezahlen, erklärt Richter.
Lohnend, sagt Bock, das ist wirklich ein lohnendes Geschäft. Bei Gott, warum bin nicht ich darauf gekommen?
Wir sind da, gebe ich bekannt, denn wir sind vor einem Regal zum Stillstand gekommen. Ich stehe ein wenig weiter hinten, während Bock und Richter beinahe mit ihren Fußspitzen an die Flaschen stoßen, die im untersten Fach stehen. Sie stehen so dicht beieinander, dass ihre Wangen sich berühren.
Oh, ganz recht, sagt Richter, ich sehe das Alkoholika-Regal direkt vor meinen Augen. Auch spüre ich das Zugegensein von Schnapsflaschen an meinen Zehen. Unser Da-Sein sollte hiermit bewiesen sein.
Sagen wir lieber Angekommen-Sein, sagt Bock, Da-Sein ist ein Begriff, den man leicht falsch auslegen könnte. Übrigens, fügt er hinzu, wenn Sie sprechen, kann ich ihre Mundbewegungen an meiner Wange spüren.
Ich fühle ihren Wangenmuskel auch auf dem meinigen auf und abwippen, sagt Richter, es ist ein schönes Gefühl. Als würde mir eine Frau, die ich einst kannte, über mein Gesicht streichen.
Meine Herren, sage ich, bewegen Sie bitte ihre Wangen auseinander und lassen Sie uns überlegen, welchen Wein wir erhandeln sollen.
Mit einem schmatzenden Geräusch – als würde ein völlig nackter Sträfling sich von seiner Metallpritsche erheben - trennen die beiden ihre Gesichter voneinander und bewegen sich ein paar Schritte rückwärts. Wir stehen nun in einer Reihe vor dem Regal.
Der Wein, sagt Bock, steht in den oberen „Etagen“. Sowohl ich als auch mein guter Freund R hier sind zu klein um dort hinzulangen. Wir sind also auf Ihre Hilfe angewiesen, er bedenkt mich mit einem freundlichen Blick, wenn Sie also so freundlich wären, sich lang zu machen?
Verzeihen Sie mir die Bemerkung, sagt Richter und zwinkert linkisch mit den Augen, aber Sie sind beim Hokus ein ganz schöner Lulatsch.
Ha, sagt Bock.
Meinen Vater hätten Sie sehen müssen, sage ich mit frechem Blick und einem schelmischem Schmunzel auf den Lippen, er war größer als ein Fahnenmast.
Erreichte er die Größe eines doppelten Fahnenmastes?, fragt Richter.
Noch größer war er, antworte ich gewitzt, ich möchte behaupten, er war gewaltiger als acht Fahnenmasten. Mit Hut beinahe neun.
Na, den Hut möchte ich sehen, sagt Bock.

3 Kommentare:

  1. Das
    war eine fesselnd skurrile Geschichte, die zwar vollkommen sinnlos im Leeren endet,aber schmuck formuliert wurde.

    Danke

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